Die Wette

 

Die Wette

Mein Urgroßvater hatte gerade zu Ostern Konfirmation gehabt. Wenige Tage danach starb der alte Lerche. Er war eigentlich gar nicht so alt, aber für die Burschen war er´s. Außerdem hatte Lerchen Johann einen der wenigen Bauernhöfe im Ort und hinterließ eine junge Witwe und ein paar unmündige Kinder . Er war eine Persönlichkeit und wurde gleich nach dem Pastor und dem Vorsteher genannt.

Um diesen Verstorbenen rankten sich die Gespräche unter der Linde am Anger. Als dann die Männer ihren Abendspruch beendet hatten blieben die Burschen noch zusammen und wollten natürlich ihren Mut beweisen. Und wie es so kommen muss bei solchen Naseweisen, sie wetteten: Wer sich getraut dem Aufgebahrten einen Westenknopf abzuschneiden, sollte fortan als der Mutigste im Ort gelten. Gesagt - getan? Keineswegs. Nach Durchschlagen der Wette regten sich natürlich Zweifel und Angst. 
Auch Gillen Fritze – mein Urgroßvater – schlich sich angstschlotternd aus der Runde. Nur ein etwas älterer Bursche verkündete lautstark seinen Mut und machte sich auch tatsächlich zur Friedhofskapelle auf den Weg. Zwischenzeitlich war es schon dunkel und die meisten glaubten das Großmaul macht sich auch aus dem Staub.

Anderntags läuft es wie ein Lauffeuer durch das Dorf: Beckers Christoph hat der Schlagfluß getroffen.

Nachdem er nicht aus seiner Kammer unterm Dach gekommen ist und auch nicht antwortete, kletterte seine Mutter hinauf und erschrak. Ihr Sohn lag auf seinem Strohsack. Vom Abend her noch vollständig angezogen, kreidebleich und faltig, graues Haar und zusammengesunken wie ein Greis. In der linken Hand hielt er krampfhaft einen Westenknopf. Alle Anreden wurden mit Schweigen quittiert. Er reagierte auf nichts. Auch der Barbier wusste keinen Rat. Christoph wurde zusehends älter und verfiel von eine auf die andere Stunde. Der Pastor wurde bestellt. Mehr als Beten konnte er auch nicht. Am dritten Tag wurde Christoph Becker noch vor Vollendung seines siebzehnten Lebensjahr aufgebahrt.

Jahre später vertraut der Küster meinem Urgroßvater die ganze Wahrheit an: Der Christoph ist damals wirklich in die Friedhofskapelle gegangen. Er hat auch den Westenknopf in der Dunkelheit abgeschnitten und die Weste auch noch aufgeschlitzt. Beim Schließen des Sargdeckels wird sein Rockschoß eingeklemmt worden sein, denn der Küster fand im Sarg einen solchen Perlmutknopf. Als Christoph sich umdreht und gehen will, merkt er, dass etwas seinen Gehrock festhält. Er denkt, der Tote hält ihn und er erschrickt zu Tote. Am anderen Tag murmelte er immer noch so etwas.

Dieser Schreck saß so tief und der Glaube, der Tote will ihn in den Sarg ziehen, hat am Ende zu seinem Tod geführt.

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